Ständerat: Herbstsession, 18. September 2003

Entlastungsprogramm 2003
für den Bundeshaushalt

Ganze Dabatte zu diesem Geschäft

Leuenberger Ernst (S, SO): Ich muss Ihnen gestehen, ich bin nicht eitel. Ich habe vor etwa 15 Jahren im Nationalrat einmal gesagt, ich würde erst dann sprechen, wenn der Rat beschlussfähig sei. Dazu hätte ich an sich die Möglichkeit, aber ich hüte mich davor, so etwas zu machen, denn wir sind hier bei der Pièce de résistance dieser ganzen, riesigen Sparvorlage. Die Frage, die hier behandelt wird - Aussetzung des AHV-Mischindexes für zwei Jahre - kann zum Stolperstein dieser Vorlage werden. Herr Kommissionssprecher Lauri hat es absolut korrekt wiedergegeben: Es ist uns in der Kommission - ich will es vorsichtig formulieren - nicht ganz gelungen, die Diskussion so vertieft zu führen, wie sie es von der politischen Bedeutung her verdient hätte. Ich bitte deshalb die im Moment anwesenden Mitglieder des Rates einfach darum, sich nicht davon täuschen zu lassen, dass diese Minderheit quantitativ etwas schmalbrüstig daher kommt.
Vielleicht ist Ihnen nicht entgangen, dass diese Frage in der nationalrätlichen Kommission in der Zwischenzeit ziemlich anders angegangen worden ist, als wir das gemacht haben. Es ist Ihnen vermutlich auch nicht entgangen, dass gestern bei der Eintretensdebatte mindestens von einer Seite angekündigt worden ist, dass man diese Frage der Aussetzung des Mischindexes inzwischen etwas anders beurteilt als noch etwa vor zwei oder drei Wochen. Ich will damit Folgendes unterstrichen haben: Die politische, psychologische, symbolische Bedeutung dieser Massnahme ist weitaus grösser, als es die finanzpolitischen Auswirkungen und der sparpolitische Nutzen, der hier beziffert worden ist, sind. Es ist nämlich nicht mehr und nicht weniger als das erste Mal seit der Einführung der AHV im Jahr 1947, dass durch eine Gesetzesänderung eine generelle, alle künftigen Rentnerinnen und Rentner betreffende Leistungsreduktion vorgenommen wird.
Seit 1947 ist diese AHV auf der Leistungsseite in zehn Revisionen in ununterbrochener Reihenfolge mehr oder weniger immer etwas verbessert worden. Nun kommt hier plötzlich dieser Vorschlag. Er kommt ja nicht zum ersten Mal, er wurde hier drin schon einmal vorgebracht. Ich habe krampfhaft versucht, das Votum der damaligen Ständerätin Josi Meier aufzuspüren, aber die betreffenden Dienste haben es mir leider nicht liefern können. Ich hätte mir sonst den Spass geleistet, ihr Votum hier vorzulesen und Sie am Schluss zu überraschen und Frau Meier als Urheberin zu bezeichnen. Das ist mir nun nicht gelungen.
Punkto Nachhaltigkeit: Die Massnahme, die hier jetzt auf dem Prüfstand steht, ist von allen bisher beschlossenen Ausgabenreduktions- oder Sparmassnahmen bei Weitem die nachhaltigste, denn sie wird auf Jahrzehnte hinaus nachwirken. Selbstverständlich wird man argumentieren, die Auswirkungen seien in Franken und Rappen gemessen relativ bescheiden, aber von der psychologisch-politischen Bedeutung her hat sie eine ganz grosse Wirkung.
In der nationalrätlichen Kommission ist so argumentiert worden - und im übrigen ist auch in der Öffentlichkeit in dieser Richtung argumentiert worden -, dass man gesagt hat, mit diesem Entwurf des Bundesrates setze man ein Signal, das zeigen soll, dass dieses Sozialwerk, eigentlich das Gemeinschaftswerk schlechthin nach dem überstandenen Zweiten Weltkrieg und den entsprechenden Bedrohungen, in seinen Grundfesten definitiv und unwiederbringlich gefährdet sei, und das sei letztendlich eigentlich das Gefährlichste an der ganzen Vorlage.
Es verwundert denn auch niemanden, dass in der Öffentlichkeit - von nicht ganz unmassgeblichen Organisationen - da und dort bereits die Frage in den Raum gestellt worden ist, ob wegen dieser Veränderung mit einem Referendum gegen diese ganze Vorlage zu drohen sei.
Ich bin der Überzeugung, dass dieser Rat damals bei der letzten Übung, als das zum letzten Mal hier im Ständerat diskutiert worden ist - und ich sage in diesem Zusammenhang immer, um gegenüber dem amtierenden Finanzminister nicht unversöhnlich zu sein, es war damals ein anderer Finanzminister, der diese Vorlage hier eingebracht hat, und er hat es zur Kenntnis nehmen müssen -, mit überwältigender Mehrheit gegen ein paar wenige Stimme von dieser Forderung nichts hat wissen wollen, weil man sich der Bedeutung der ganzen Geschichte bewusst war.
Ich glaube, es bringt relativ wenig, wenn wir jetzt hier zu rechnen beginnen und von den 10, 12 oder 15 Franken sprechen, die das dann letztlich irgendwann ausmachen würde. Es geht ums Prinzip. Ich möchte Sie von ganzem Herzen bitten, diese Geschichte sehr ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Wir haben uns heute Morgen - ich stehe dazu und habe inzwischen schon einige Abreibungen erhalten, das macht nichts - in einem Teilbereich dieses Sparpakets zusammengerauft. Jede und jeder von uns ist irgendwo über den eigenen Schatten gesprungen - was rein physikalisch nicht möglich sein soll -, aber symbolisch haben wir das getan. Hier möchte ich Sie bitten: Wenn es uns wirklich ernst ist mit diesem ganzen Sparpaket und wenn wir auch im Sinne jener, die sich nur ein kleineres Sparpaket gewünscht hätten, anerkennen, dass jetzt etwas geschehen muss - auch aus psychologischen, auch aus politischen Gründen -, dann würde ich dieses ganze Paket nicht gefährden, indem ich diese finanzpolitisch relativ unbedeutende Geschichte hier hineinzwänge und damit das ganze Paket letztendlich gefährde. Eine Volksabstimmung gewinnen zu müssen, wo man erstmals nach bald 60 Jahren bei der AHV generelle Leistungen zurücknimmt, das scheint mir zu gewagt.
Ich bitte Sie dringend, wenn Sie nicht heute entscheiden wollen oder können, dann einen Entscheid zu gegebener Zeit zu treffen. Aber ich bitte Sie ganz dringend, diese Vorlage nicht mit diesem Pferdefuss zu belasten. Das wäre der grösste Fehler, den wir heute machen könnten.

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